Seit 2009 befinden sich Corinne Holthuizen-Habermann und Bettina Lehfeldt im Dialog. Die Regeln des Austausches zwischen der Fotografin und der Malerin folgen einem einfachen Prinzip: Ich zeige Dir meine Fotografie, Du antwortest mit Deinem gemalten Bild – und umgekehrt. So sind mit der Zeit eine Reihe von Bildpaaren und Bildgruppen entstanden. Gemaltes Bild spricht zu Fotografie, Fotografie zu gemaltem Bild.
Nun ist die Tatsache allein, dass zwei Menschen miteinander sprechen, noch kein Beleg für einen geglückten Dialog. Sind wir als Betrachter hier also Zeugen zweier Monologe, also zweier willkürlich zueinander gesellter Selbstgespräche, oder gelingt es den beiden Künstlerinnen, gewissermaßen in bildnerischer These und Antithese etwas Neues hervorzubringen? Seitdem über den Dialog als Grundform menschlicher Verständigung nachgedacht wird, geht es im Kern ja um nichts anderes: den Blick zu öffnen für den anderen, für sich selbst und schließlich für etwas Gemeinsames. Entsteht durch den Dialog gar etwas Drittes, und dann: ist es für uns Betrachter erkennbar?
Methodisch haben sich in diesem dialogischen Austausch zwei Verfahren ausgebildet. Das erste Verfahren ist naheliegend: Das Initiativbild – hier im Katalog ebenso wie in der Ausstellung jeweils auf der linken Seite zu sehen – wird mit einem gänzlich neuen Bild, einer gänzlich neuen Fotografie beantwortet. Man kann sich hier vor dem inneren Auge vorstellen, wie Holthuizen und Lehfeldt während der Zeit des Projektes mit der „Rede“ der anderen jeweils „schwanger gegangen sind“, um an der Leinwand oder eben per Kamera mit einer „Gegenrede“ zu antworten. In unserem Sprachgebrauch verwenden wir ja nicht ganz zu Unrecht den Begriff „eine passende Antwort geben“.
So reagiert Holthuizen auf Lehfeldts vierteilige Bilderreihe „Bewegung“ aus dem Jahr 2010 mit einer Fotografie aus demselben Jahr unter dem Titel „Paris“. Und in der Tat, man findet die Bewegungsvariationen der gemalten Bilder, insbesondere die schwarzen, flügelartigen Formen, in der Menschenkette der Fotografie wieder, die sich nach genauerem Hinsehen als mäandernde Touristenschlange beim Anstehen am Eiffelturm herausstellen. Man stellt sich plastisch vor, wie Holthuizen in sich den Eindruck der Lehfeldtschen Form trug, als sie nach Paris fuhr, und diese beim Blick hoch oben vom Turm in der Menschenkette wiederfand – das gemalte Bild findet also tatsächlich seinen Widerhall, seine Entsprechung in der Fotografie – schlicht, präzis, nachvollziehbar.
Das andere Verfahren des Dialogs zwischen den beiden ist nicht die Suche nach einem neuen Bild, einer neuen Fotografie, sondern die Suche im Archiv der beiden Künstlerinnen. Welches Bild aus meiner Vergangenheit, aus meinem Bestand, kommt mir in den Sinn, wenn ich auf das Impulsbild der anderen schaue? Welches Verfahren dem jeweiligen Bilderpaar zugrunde liegt, sehen wir als Betrachter an den Jahresdaten zu den Exponaten. Was an der Oberfläche simpel erscheint, verbirgt die recht komplexe Struktur des Austausches. Denn gerade die Einbeziehung der vormals entstandenen Bilder verdeutlicht, dass hier nicht allein kreatives Schaffen mit kreativem Schaffen in Verbindung tritt, sondern zwei Lebensgeschichten aufeinander reagieren.
Auf ein Doppelbild von Lehfeldt mit kräftigen roten Farbfeldern aus dem Jahr 2009 antwortet Holthuizen mit der Fotografie „New York“ aus dem Jahr 1990. Anders als bei den schwarzen Flügeln und der Menschenschlange vor dem Eiffelturm ist hier die Gegenrede ohne unmittelbare Formentsprechung in der Fotografie. Löst das Rot des gemalten Bildes in Holthuizen Assoziationen aus, die mit dem Zwillingsturm des World Trade Centers in Verbindung stehen, das wir hier – noch in vollständiger Form erkennbar – sehen können? Und umgekehrt finden wir auch eine Antwort von Bettina Lehfeldt auf eine andere Fotografie aus New York aus dem Jahr 1990, das einen Blick in das Guggenheim-Museum wiedergibt. Lehfeldt greift hier die streifenartigen, architektonischen Formen auf und lässt sie am oberen rechten Rand ihres komplexen Bildes aufleben.
Es zeigt sich, dass wir als Betrachter der Gegenüberstellungen herausgefordert werden, denn die beiden Künstlerinnen bieten uns ein variantenreiches Spiel ihrer Kommunikation. Es gibt Bildpaare der Entsprechung, in denen bildliche Formen der einen Seite in solchen der anderen Seite zu neuem Leben kommen. So wird die Betrachtung zu einem aktiven Prozess – der Blick wandert beständig hin und her, begleitet von der Frage, was hat die eine wohl bewegt, auf die andere so und eben nicht anders zu reagieren. Manches liegt nahe, nämlich immer dann, wenn das Auge Formen „mitnehmen“ kann und auf der anderen Seite wieder entdecken kann. Fehlt diese Entsprechung, tauchen Fragen nach dem Hintergrund, der Motivation auf, die Spannung erzeugen. Die eingangs gestellte Frage, nämlich die nach dem geglückten Dialog, findet schließlich eine klare Antwort. Wir begegnen hier zwei Künstlerinnen, die etwas zu sagen haben, die sich gegenseitig etwas zu sagen haben und die damit auch unserem wandernden Blick Nahrung geben.
Bei aller Unterschiedlichkeit der Malerei Lehfeldts und der Fotografie Holthuizens scheinen sie sich in einem Punkt zu entsprechen. Beide arbeiten mit einer starken inneren Haltung zu ihren Bildern. Bei Lehfehldt ist dies das Ringen um die treffende Form, es ist eine – trotz ihrer Abstraktion – unbedingte, leidenschaftliche Suche nach der gebannten Bewegung, teils sehr komplex angelegt, insbesondere in ihren - im wahrsten Sinn - vielschichtigen Bildern in Acryl. Holthuizens Haltung ist auf strikte Authenzität gerichtet. Ihre Bilder werden nicht bearbeitet, selbst da, wo es den Anschein machen will wie in den Baumbildern „Werder 1“ und „Werder 2“. Sie wählt nicht bloß Ausschnitte, sondern gibt uns Fotografien „tel quel“ – eben so, wie sie auch tatsächlich entstanden sind.
Vielleicht ist diese klare und doch ringende ästhetische Haltung auf beiden Seiten die Voraussetzung für den Reichtum des Bildaustausches, den wir als Betrachter hier erleben. Im Zusammenspiel, in bildnerischer Rede und Gegenrede entsteht ein Drittes, nämlich unsere Wahrnehmung und Faszination, unser neuer Blick, wundervoll vollendet etwa in dem Bildpaar „Marrakech“ von 2007 und „Ohne Titel“ von 2009.
Dr. Matthias Koehler, Januar 2012,
Ausstellungseröffnung Galerie Neuköllner Leuchtturm, Berlin